Samstag, 9. März 2019

Gedanken zu "Der Prozess", Theater Heidelberg

Gedanken zu der Aufführung
von Franz Kafkas "Der Prozess"
im Marguerre-Saal, Theater Heidelberg 
am 8.03.2019


Einleitung:

Und dann waren wir also durch die Tür ins Theater eingetreten und wir schauten uns um. Wir brachten in Erfahrung, wo die Toiletten sind: nämlich oben. Auch dass meine Tüte kostenlos an der Garderobe abgegeben werden konnte und in welche Richtung es zum Aufführungsort geht.
An der Garderobe musste ich auch in der Pause nicht anstehen und kam schnell an meine Trinkflasche.
Der Saal war gut gefüllt und von schöner Gestaltung. 
Die Bühne war groß und durch herabfahrende Wände in der Tiefe teilbar.
Noch dazu gab es in der Tiefe Bodensegmente, die hoch- und runterfahren konnten.
Die Spielzeit betrug etwa 3 Stunden und wurde mit einer etwa 20-Minuten-Pause nach 60 Minuten unterbrochen.
Die Regie des Stückes hatte jemand übernommen, der zuvor schon die Inszenierung von Houllebecqs Unterwerfung geleitet hatte, so das Internet.


Zum Stück an sich:

Nachdem im Gästebuch, das im Foyer auslag und verhältnismäßig wenig beschrieben wurde, die ersten beiden Kritiken sehr negativ waren, das Stück sei furchtbar gewesen, war mir aufgefallen, dass es das irgendwie auch einfach war.
Ich fand es skurril, verrückt, wahnsinnig, anders, verstörend, wohingegen kafkaesk gar kein Begriff ist. hehe
Gerade durch die skurrilen Figuren, den Medien-Mix(Gesangs- und Tanzeinlagen, Video-, Ton-, und Texteinblendungen), die vielfältige Bühnen- und Requisitennutzung - und dazu noch den Inhalt - animierte das Stück zum Nachdenken, zum Verstehen. Es war durchweg spannend und komplex!
Neben der parallelen Verwebung des Romaninhalts mit unseren Herrschaftssystemen, Hierarchien, der Bürokratie und der Rechtsstaatlichkeit wurde häufig auch der Umgang mit Flüchtlingen thematisiert. 
Ich finde, im Ganzen war das Stück eine Metapher für das Fremde und Seltsame, was Offenheit und Willen zum Verstehen abfordert.
Ich denke, das Stück war ein Bruch mit dem Gewohnten und Normalen und führte mich zum Hinterfragen der eigenen Gewohnheit, des eigenen Glaubens und des eigenen Guten.

Das Stück begann mit einer schrill gekleideten Figur, die ich pink und fellartig in Erinnerung habe, welche von der Decke gelassen wurde.
Dabei verkündete sie speziell betont den Satz "Jemand musste Joseph K. verleumdet haben, denn ohne, dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet."
Passend dazu endete das Stück damit, dass Joseph K.´s weiße Jacke als Geist aufstieg, nachdem er sich erstechen lassen hatte.
Die Türhüterparabel wirkte sehr eindrücklich und dramatisch, auch ungekürzt, wonach des Prozesses und Josephs Ende rasch kam.

Auffällig fand ich, dass Joseph K. von einer Frau gespielt wurde, die Vermieterin Frau Grubach hingegen von einem Mann.
Was die Geschlechter betrifft, wurde da eine Prise Patriarchat eingestreut.
Ich meine, als es um Fräulein Bürstner und ihre Männerbekanntschaften ging, weswegen ihr Frau Grubach kündigen wollte. 
Mit Patriarchat verbinde ich Gewalt, Kontrolle und Herrschaft.
Da gab es also eine Szene, wo der Frau gesagt wurde, sie hätte einen Mann in sich. Und zwar in dem Sinne, dass dieser Teil Mann in ihr vorschreibt, wie sie Frau zu sein hat. Die Frau trage die Erwartungen des Mannes in sich.
Im Grunde passt Kontrolle und Herrschaft zu einigen Bestandteilen des Stücks,  wie auch der übernommene, herrschende Glaube, wie man zu sein oder zu leben hat.

Ich glaube, an zwei Stellen kamen Drohnen vor, zur Überwachung und zur Vernichtung.
Dann gab es eine Szene eines, ich meine aus Gambia, Geflüchteten, der schon länger in Deutschland ist, aber hier verstärkt auf Diskriminierung stößt.
Er war nach dem Islam erzogen worden und bekam Morddrohungen, als er begann den Glauben und die Regeln zu hinterfragen. 
Ich finde es ähnlich wie mit dem Mann in der Frau oder der Schuld Joseph K. 's, dass die äußere Meinung zur eigenen gemacht wird. Die äußeren Befehle werden zum eigenen Glauben, zum Gewohnten, wonach gelebt wird.
Und weil ich eben Drohnen erwähnte, Überwachungssysteme, möchte ich den Begriff der black box nun einbringen, der im Stück öfter fiel und auch zu sehen war.
Einmal stand die black box für das System an sich, was 0 Toleranz bedeute.
Nebenbei tauchten öfter schwarze Kartons mit weißer Schrift auf, die wie auch der Körper eines Schwarzen mit Worten beschrieben waren: Dignity, Stop deportation und ähnliches Ermahnendes.
Apartheid, Abschiebung, das sei alles das Deportations-Thema.
Die black box hat mir mal ein bekannter Informatiker ein wenig beschrieben. Signale kommen rein und werden darin irgendwie verrechnet, dann ausgegeben. Die black box steht für mich für die Entwicklung der künstlichen Intelligenzen, mit deren Hilfe vorausgerechnet, überwacht, kontrolliert und beherrscht werden kann.
Irgendwie erinnert das auch ein wenig an den Rechtsstaat. Dass die black box für 0 Toleranz steht, habe ich mir gemerkt, denn ich kann es für mich verstehen.
Der Rechtsstaat und auch die Informatik kennt keine Toleranz. :)
Gesetz und Vorschrift ist Trumpf!
Wahr oder falsch, 1 oder 0.
Entweder oder. Wenn, dann. Wenn sicheres Herkunftsland, dann Abschiebung. Wenn dies, dann Täter, dann Gefängnis. Es freut mich gerade selber, diese Parallele zwischen Rechtsstaat und Informatik gefunden zu haben: nämlich dass es keine Toleranz gibt, zumindest, was Gesetze, Vorschriften oder ihre Interpretation betrifft..

Joseph K. erfuhr also eines Morgens in seiner Wohnung von seiner Verhaftung. 
Ich meine, er wird nicht mal schuldig genannt und dichtet sich das selbst dazu.
Er wurde verhaftet und glaubt deshalb, er müsse irgendwie Schuld auf sich geladen haben. Und er lebe doch in einem Rechtsstaat, betonte eine extra Stimme, wie könne das angehen? 
Er sei verhaftet, aber solle einfach weiterleben, als wäre nichts gewesen. Ein Scherz hätte das ja nicht gewesen sein können, dafür hätte alles zu umständlich gewirkt. 
Ich finde den gesamten Verlauf heftig, wie Joseph K. sich gedanklich und logisch folgernd immer mehr in seine Schuld reinsteigert und sie am Ende sogar entweder selbst zu glauben oder in der Verteidigung aufzugeben scheint.
Er sei ja völlig überlastet, kriegt er ein paar mal zu hören.
Dabei fühlt er sich am Anfang noch überlegen, als er versucht seine Unschuld mit seiner Geburtsurkunde als Legitimationspapier zu beweisen.
Dazu taucht später explizit die Frage auf:
"Wie kann ein Mensch überhaupt schuldig sein?"
Schuld. Wer ist Schuld an seiner Schuld? Von welcher Instanz geht die Anklage aus? Die Wächter und niemand kann Joseph K. sagen, wer verantwortlich an seiner Schuldzuweisung ist.
Ironisch finde ich die Bestrafung der 2 Wächter, weil Klein K. chen sie verpetzt hat.

Ich glaube, Klein K. chen wird er vom Advokaten(welcher war es doch?) genannt, weil er seine Verantwortung sozusagen an ihn abgibt. Joseph K. ist unselbstständig und abhängig  wie ein Kind von den Menschen, die Einfluss bzw. Macht auf seinen Prozessausgang haben. 
Ob von Maler Titorelli, der wie ein nackter Höhlenmensch mit viel zu viel Kopfhaar aussah und die Richter malt, oder den Advokaten.
Titorelli war lustig-verrückt, wie er mit 3 Farbeimern die 3 möglichen Prozessausgänge, z.B.  Verschleppung, demonstrierte. Dann verschob er die 3 Eimer wie beim Hütchenspiel, als wolle er den armen Joseph noch verrückter machen und erklärte lieb, dass der Prozess nie zu Ende sein würde und bloß in einem niedrigen Stadium gehalten werden könne.
In einer Szene stritten sich die Advokaten um die Führung Klein K.chens.
Einer der Advokaten trug einen bunten Strickanzug und einen blauen Eimer als Hut. Ich meine, dieser Advokat betonte, wie wichtig die 1. Eingabe wäre. Zwar würde sie nicht gelesen werden, aber geduldet werden. Dieses Dulden klingt wieder an den Duldungsstatus von Flüchtlingen an.

(Im Grunde ist unser ganzes System nicht nur patriarchalisch, unterdrückend und kontrollierend, sondern auch paternalistisch bzw. bevormundend, weil es den Menschen feste Lebenswege in Abhängigkeiten vorzeichnet und zeigt, was richtig ist, dass die eigene Erkenntnis nicht nach kommt.
Ach und die Abhängigkeit vom Arbeitgeber und Geld.)

 Die Wächter hatten ihm ja sein Frühstück am Morgen weggegessen. Das heißt, Joseph K. verursachte ihre Bestrafung, was er nach eigener Aussage aber gar nicht beabsichtigte. Er wollte sich nur beschweren, dass sie Schuld an der Frühstücksvernichtung waren, aber keine Strafe. Interessant!
Irgendwann lief ein Charakter auf der Bühne nach links mit den Worten "Heil Hitler". Später ging es um Ignoranz.
Das erinnert mich an die Mitschuld der Schweigenden, der Wegschauenden bei Gewalttaten. Insgesamt in Bezug auf Hitler an Mitläufertum und einfügen in die Masse. 

Zu Flüchtlingen, viel über Videoeinspieler:

In einer Szene erklärte ein Mann, in seinem Land sollte er zwangsverheiratet werden.
So viel zu Recht und Freiheit auch noch in anderen Ländern
In einer nächsten Szene wurde jemand gefragt, was Duldung heißt. "Was bedeutet Duldung?"
In der dramatischsten Szene war einer mit Kamera im Flugzeug und demonstrierte gegen eine Abschiebung. "Ist er denn kein Mensch?", "Stellen Sie sich vor, Sie wären an seiner Stelle." , "Stoppen Sie die Abschiebung!".
Er selbst wurde nur wiederholt aufgefordert, die Kamera abzuschalten.
In einer anderen Szene wurden die Personalien von einem Flüchtling aufgenommen und gefragt, wer der 1. Präsident den Landes war, wahrscheinlich um das Herkunftsland zu verifizieren.
In einer anderen Szene sah es aus, als würden die Theatermacher bei der Arbeit an Requisiten selbst nach Ausweisen gefragt werden. Wer hat ein Recht (hier) zu leben, ist für mich die Frage aus dem allen.
Ein Mann wurde verhört, warum er ohne Arbeitserlaubnis gearbeitet hätte. Warum er seine Unterkunft verlassen hatte, ich meine wegen Kosten.
Auch dass Drogen und Kriminalität nicht der Weg erster Wahl sind, sondern ein Ausweg zum Überleben.
Ich bin nicht sicher, aber vielleicht steht die Bürokratie, Verwaltung mit Anträgen, da im Weg. Ich denke an kompliziertes Beamtendeutsch, Wartezeiten und mögliche Fehler in der Prozesskette.
Irgendwann im Stück meinte einer singend, bei Bürokratie muss er über buerocrazy an Kroatien denken. Was ein netter Gedanke. lol

Spannend fand ich außerdem einen Mann auf der Bühne, der irgendwie bedauerte, er sehe seine Werte und Überzeugungen in der Welt nicht vertreten.
An einer anderen Stelle sprach jemand von freier Entwicklung und von Bildung(Schulen).

Und Joseph K. ist ja eigentlich Prokurist in einer Bank. 
Ein Zusammenhang, warum an einer Stelle ein seltsames Männchen im Anzug auf der Bühne war und öfter Geldscheine um sich warf mit den schnellen Worten "Geld, Geld, Geld, money, money, money, kill, kill, kill". Joseph K. riet er, der solle aufhören zu schlafen. hehe .. Zeit ist Geld, was?
"Hören Sie auf zu schlafen!"
"Geld, Geld, Geld, money, money, money, kill, kill, kill".

"Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht."
Das ist ein Satz, den ich wichtig fand.
Dass das Scheinen mehr zählt als das Sein, wäre meine erste Interpretation.
Im Kampf ums Überleben. Dass die Darstellung mehr zählt als das Selbst.
Der Glaube an Gut und Böse, die Trennung, könnte auch die Lüge sein.  (wo ich an Zarathustra denke, und es auch so sehe. Es kommt tatsächlich auf die Perspektive an: Egozentrisms, Anthropozentrismus, Eurozentrismus)

Bedeutend fand ich das Ende im Stück, keine Ahnung, ob es im Buch auch so war, aber glaube schon.
Während Joseph zum Tod gebracht wird, schaut jemand aus dem Fenster. Und es wird weiter beschrieben. Wer war dieser am Fenster? Oder waren es mehrere? War es ein guter Mensch?
Jetzt im Nachhinein hätten wir das alle als Zuschauer gewesen sein können, die still den Mord geschehen lassen.

Verantwortung?

Im Ganzen sprach das Stück wesentliche Themen der Gesellschaft auf dramatische Art und Weise an.  
Was ist Wahrheit und was Glaube? Was soll ich tun?-> Was ich will oder was ich soll? Wem glaube oder was glaube ich? Ist das Gesetz richtig? Ist die Gewohnheit richtig?



Selbst das Unterdrücken oder Wegschieben von Gefühlen oder Gedanken, lässt sie doch in dem, der sie hat und die Hoffnung, sie wieder auszugraben. ? 



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Notizen:


islam
gambia

Joseph K
onkel von joseph k
Leni
advokat hasteter
maler titorelli
die wächter
der aufseher

2 die k ermorden

von der kirchenkanzel
fräulein bürstner
frau grubach

flüchtlinge 

duldung
abschiebung
schuld
verantwortung 
ignoranz
toleranz

system 

hierarchie
macht 
gewalt

klein k.chen

black box = 0 toleranz 

überwachung und kontrolle
drohnen, kampfdrohnen

requisiten
leierkasten
treppe
mann, der strickt

als k ermordet wird, die fragen dazu:
war er 


"hören sie auf zu schlafen. money, money, money, kill, kill, kill"


nur einem advokaten folgen

vielfalt
skurril
verstörend
fremd
anders

offenheit
wille zum verständnis 

identitäen

revolution 
rebellion

menschenwürde 
Unterdrückung 
korruption

wahrheit
wirklichkeit
weltbild

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